Gedächtnisverlust, Verwirrung, Sprachprobleme – die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache für Demenz und betrifft weltweit etwa 35 Millionen Menschen, Tendenz steigend. Das Protein Amyloid-beta, das natürlicherweise im Gehirn vorkommt, spielt eine zentrale Rolle bei der Krankheit: Es sammelt sich bei Patienten in unlöslichen Klumpen an, die Plaques zwischen den Nervenzellen im Gehirn bilden und diese schädigen. Forscher des Max-Planck-Instituts (MPI) für multidisziplinäre Wissenschaften haben nun gezeigt, dass neben den Nervenzellen auch spezielle Gliazellen im Gehirn Amyloid-beta produzieren. Diese Erkenntnis könnte neue Wege für zukünftige Therapien eröffnen.
Nicht nur Neuronen, auch spezielle Gliazellen sind beteiligt
Es gibt keine Heilung für die Alzheimer-Krankheit. Es gibt jedoch therapeutische Ansätze, um die Amyloid-Plaques im Gehirn zu reduzieren. Dies kann das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen, aber nicht umkehren oder stoppen. „Bisher ging man davon aus, dass Neuronen die Hauptproduzenten von Amyloid-Beta sind und das Hauptziel für neue Medikamente darstellen“, erklärt Klaus-Armin Nave, Direktor am MPI für Multidisziplinäre Wissenschaften. Die Ergebnisse seiner Abteilung für Neurogenetik haben nun gezeigt: Neben Neuronen spielen spezielle Gliazellen – sogenannte Oligodendrozyten – eine wichtige Rolle bei der Plaquebildung.
„Eine der Aufgaben von Oligodendrozyten ist es, Myelin – eine isolierende Schicht – zu bilden und diese um die Nervenfasern zu wickeln, um die Signalübertragung zu beschleunigen“, erklärt Andrew Octavian Sasmita, einer der Erstautoren der jetzt in Nature Neuroscience veröffentlichten Studie und ehemaliger Doktorand im Team von Nave. In einer früheren Studie hatten die Göttinger Forscher bereits herausgefunden, dass defektes Myelin von Oligodendrozyten die Alzheimer-Krankheit verschlimmert.
Spielen Gliazellen bei der Krankheit eine noch größere Rolle als bisher angenommen? Die Forscher haben nun gezeigt, dass Neuronen zwar die Hauptproduzenten von Amyloid-beta sind, Oligodendrozyten aber auch eine erhebliche Menge des Proteins produzieren, das in Plaques eingebaut wird. Zu ähnlichen Ergebnissen kam kürzlich auch eine Forschergruppe um Marc Aurel Busche vom University College London (England).
Plaquebildung verhindern
Die Zellen des Nervensystems produzieren Amyloid-beta, indem sie ein größeres Vorläufermolekül mit Hilfe eines Enzyms namens BACE1 spalten. Für ihre Experimente schalteten die Forscher BACE1 gezielt in den Neuronen und Oligodendrozyten von Mäusen aus. Anschließend untersuchten sie mithilfe der 3D-Lichtscheibenmikroskopie die Plaquebildung im gesamten Gehirn und erhielten so ein vollständiges Bild der Amyloid-Plaques in allen Gehirnregionen.
Laut Constanze Depp, ebenfalls Erstautorin der Studie und ehemalige Doktorandin in Naves Abteilung., wurden bei Oligodendrozyten ohne BACE1 etwa 30 Prozent weniger Plaques gebildet. Durch das Ausschalten des BACE1-Gens in Neuronen wurde die Plaquebildung um über 95 Prozent reduziert. Die Wissenschaftler fanden außerdem heraus, dass sich Plaque-Ablagerungen nur bilden, wenn eine bestimmte Menge an neuronalem Amyloid-beta vorhanden ist. Die Oligodendrozyten tragen dann zu diesen Plaques bei. Dieser Schwellenwert könnte für Alzheimer-Therapien nützlich sein. Wenn es den Forschern gelingt, BACE1 zu hemmen, bevor dieser Schwellenwert erreicht ist, könnten sich die Plaques später bilden. Das könnte helfen, das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit in einem frühen Stadium zu verlangsamen.